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Sie wollen nicht Vollzeit arbeiten - Teil 2

05.03.2023 11:32

Hier der zweite Teil meiner Überlegungen zu der Frage, warum so viele junge Menschen von Vollzeitarbeit Abstand nehmen.

Zuerst serviere ich dir noch ein paar „Gustostückerl“ des alten Schulsystems. Dann erzähle ich dir

+ von einem sehr positiven Gegenbeispiel dazu
+ wo die Politik bei der Vollzeit-Problematik ansetzen will und zu wessen Lasten das geht
+ und warum ein deutscher Comedian wohl recht hat


In Teil 1 habe ich davon gesprochen, dass ich einen Zusammenhang zwischen diesem neuen Phänomen in der Arbeitswelt und den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte sehe, welche sich auch im Schulsystem niedergeschlagen hat. Die Gesellschaft und das Schulsystem habe ich mit zwei Puzzleteilen verglichen, die zu meiner Schulzeit und die Jahre darauf noch ineinanderpassten. Dann hat das eine Stück seine Form verändert, das andere aber nicht. Statt sich ebenfalls umzuformen, hat es sich nur einen schillernden Anstrich verliehen.

Der andere Aspekt, den ich nochmals aufgreifen möchte, ist die Tatsache, dass es alltäglich geworden ist, eine Konsumhaltung einzunehmen und überall mitreden zu wollen. Letzteres ist ja grundsätzlich gut, aber ab einem gewissen Punkt verderben zu viele Köche den Brei. Wenn sich jeder Hobbykoch als Küchenchef versteht und seine Vorstellungen durchsetzen will, kommt nichts Gutes dabei heraus.

Um dem Einheitsbrei gerecht zu werden und alle mitzuschleppen, werden einfach die Standards gesenkt. Ob du als Schüler:in nun etwas leistest oder nicht, ist ziemlich egal geworden, was auf Kosten derer geht, die sehr wohl arbeiten und echte Fortschritte erzielen wollen. Lehrer:innen, die für ihren Beruf brennen, müssen nicht nur immer mehr kompensieren. Sie sehen sich auch wegen jeder Kleinigkeit Angriffen durch Eltern-Chefköche ausgesetzt und brennen schließlich aus. (Ähnliches beobachtet man in der Politik.) Am Ende nehmen sie den Hut und gehen.

Die Gewinner sind eindeutig die, die mit minimalem oder gar keinem Aufwand genauso durchkommen wie alle anderen. Es ist nicht übertrieben. Etliche von ihnen haben mir ungeniert erzählt, dass sie zu Hause nur im Bett liegen und sich zu nichts aufraffen können.

Was haben wir diesen jungen Menschen, und zwar allen, den Fleißigen wie den Faulen, beigebracht? Wo soll das Interesse an Arbeit oder die Fähigkeit zur Eigenverantwortung dann herkommen?

Schon vor vielen Jahren hörte ich Inhaber:innen von Handwerksbetrieben darüber klagen, dass aus den Schulen keine für die Arbeit brauchbaren Lehrlinge mehr herauskämen. Die meisten stünden nur herum, mit den Händen in den Hosentaschen, und seien passiv. Es ist nichts anderes als das, was in den Schulen quasi herangezüchtet und gefördert wird.

Versteh mich nicht falsch, ich bin nicht für Drill oder so was wie „Zucht und Ordnung“. Aber es ist überfällig, dass sich Schule von Grund auf verändert! Wie, erkläre ich dir anhand eines Positivbeispiels. Es handelt sich um ein Langzeitprojekt namens Open School. Ich hatte Gelegenheit, direkt an einer solchen einen halben Tag verbringen zu dürfen, und es war ein Segen, diese komplett andere Herangehensweise an das Lernen und die jungen Menschen zu erleben!

Besucht habe ich konkret eine Mittelschule in Wien, und nicht irgendeine: Es ist eine sogenannte Brennpunktschule, wo die Verhältnisse normalerweise am schwierigsten sind. Doch in der Open School, die dort für jeweils zwei Jahrgänge implementiert ist, erlebte ich etwas völlig anderes! Ich kann hier nicht ins Detail gehen, sonst wird der Text zu lang, aber ich kann dir sagen, ich kam mir vor, als sei ich in den Hörsälen einer Privatuni oder in den Seminarräumen einer Firma, wo Arbeitsteams voll fokussiert an Lösungen tüfteln. Die Schüler:innen sind 13 bis 14 Jahre alt, die meisten von ihnen mit Migrationshintergrund.

Was ist dort anders? Die Quintessenz ist, dass sie von den Lehrkräften darin begleitet werden, aktiv an Lerninhalten zu arbeiten, und das den ganzen Tag. In simplen Worten: Die TUN den ganzen Tag, statt alles fixfertig und mit Entertainment als Beilage serviert zu bekommen, wie es an Regelschulen der Fall ist. Die Kinder in der Open School können ihre natürliche Neugierde ausleben, statt das diese abgetötet wird, und sich in ihrer Selbstkompetenz wahrnehmen. Die haben Spaß an Arbeit! Und das ist der große Unterschied, sowohl für sie als auch später für die Arbeitswelt und unsere Gesellschaft.

In der Regelschule läuft es indes immer schlechter. Die Kinder und Jugendlichen sind gelangweilt, interessanterweise trotz (oder eher wegen) des ganzen Unterhaltungs-Tamtams, das man für sie aufführt, um sie – von außen nämlich – zu motivieren. Die Motivation, die sie von Natur aus von innen gehabt hätten und die in der Open School freigelegt wird, verkümmert. Sie sitzen ihre Zeit ab, und Arbeit ist Überwindung! Ihre Energie, die weniger wird, je weniger sie tun müssen (oder dürfen), wird höchstens noch dafür aufgewendet, Methoden und Schlupflöcher zu finden, um das Arbeiten noch mehr zu vermeiden.

Die Eltern ausgerechnet solcher Arbeitsvermeider sind es dann, die am meisten auf die Barrikaden steigen, wenn dem Prinz oder der Prinzessin auf der Erbse einmal nicht alles durchgeht. Es dürfte eine Art Projektion sein. So genau erschließt sich mir das nicht. Ich habe es nur abbekommen. Am Ende hat eine solche Mutter, deren Sohn nichts gemacht hatte außer Klamauk und demensprechend wenig konnte, dann aber aus ihrer Sicht einen Dreier dafür bekommen sollte, zuerst Druck auf mich ausgeübt, und als ich mich nicht weichklopfen ließ, andere Mütter solcher Kinder ins Boot geholt. Sie zettelte eine Schmutzkübelkampagne gegen mich an, die sich gewaschen hatte!

Ich wurde (Projektion) statt des Sohns auf einmal als faul und unfähig bezeichnet und systematisch diffamiert, auch und besonders gegenüber dem Schulleiter. Der machte teils sogar mit, um vor den Müttern gut dazustehen. Sich gegen solche Eltern zu stellen, dazu bedarf es heute eines starken Rückgrats. Das haben die wenigsten. Daher wird oft sogar schon vorauseilend entgegengekommen und Noten werden verschenkt. Dann hat man nämlich seine Ruhe. Gerecht den anderen gegenüber, die sich diese Noten tatsächlich verdient haben, durch Arbeit nämlich, ist das nicht. Was bringen wir den jungen Menschen also auch hierdurch über den Wert von Leistung bei?

Nachdem ich im ersten und zweiten Coronajahr eineinhalbfache Vollzeit gearbeitet hatte (bei All-In wohlgemerkt, also für Gottes Lohn und einen feuchten Händedruck) und um alle Wochenenden umgefallen war, was sich bereits massiv auf meine Gesundheit geschlagen hatte, gab mir das noch den Rest, und ich ging. Ich konnte nicht mehr und ich wollte auch nicht mehr. Ich hatte meinen Beruf geliebt, und zu gehen bedeutete den Verlust meiner Existenzgrundlage. Wenn man aber nur noch der Depp vom Dienst und das Ventil für eh alles ist, wird es irgendwann unerträglich! Es war eine zu verkehrte Welt geworden, und was ich da nach all den Mühen und den Verzicht gar noch menschlich erlebte und über mich sagen lassen musste, war richtig hässlich!

Ich war ja kein Mensch. Vielfach wirst du du in der Arbeitswelt, so auch als Lehrerin, als Maschine angesehen, die gefälligst zu funktionieren hat, aber mit dem Unterschied, dass man Maschinen wartet.

Eine Freundin von mir arbeitet in einer Druckerei. Ihr Chef ist ein Despot, der all seine Aggressionen an den Mitarbeitenden auslässt. Um Urlaub müssen sie ihm wochenlang nachlaufen, er hält sie hin, dann sagt er vielleicht ein paar Tage zu, um die Zusage kurz darauf wieder zurückzunehmen. Wenn meine Freundin, was wirklich selten ist, anrufen muss, um sich krankzumelden, schreit er ins Telefon und legt dann auf.

Dass meine Freundin nicht einfach gehen kann, liegt daran, dass sie sich nicht traut. Sie ist Mitte fünfzig (ab da bist du für den Arbeitsmarkt nichts wert, wie ich selbst erlebe) und Alleinverdienerin. Ihr Mann ist schwerkrank, und sie haben so schon nur das Nötigste.

Der Chef meiner Freundin ist ein Extrembeispiel. Warum ich es bringe, hat damit zu tun, dass die Machtstrukturen teils bis heute wenig geeignet sind, für junge Menschen attraktiv zu sein, wo sie ja außerdem zu Hause und aus der Schule das glatte Gegenteil gewöhnt sind. Vielfach bist du als Arbeitnehmer:in auch heute noch ein Bittsteller und die Chefität die Hoheit. Dass die Jungen das in der bisherigen Form nicht mehr mitmachen, sehe ich als positiv an. Auf alle Fälle denke ich, da müsste man ansetzen.

Stattdessen wird überlegt, wie man Teilzeit und geringfügige Beschäftigung unattraktiver machen kann! Sie sollen stärker besteuert werden. Wen trifft das wieder? Wohl kaum jene, die in Geld schwimmen, sondern die, die ohnehin schon „rudern“ – und allen voran natürlich wieder die Frauen, deren Einkommen ohnehin nicht an jenes der Männer herankommt, noch immer nicht. Durch die angedachte Maßnahme geht die Schere noch mehr auf, und jenen, die sich durch die Teuerung bereits an der Armutsgrenze bewegen, werden die letzten Möglichkeiten genommen, sich noch über Wasser zu halten.

In unserem Land, das im Vergleich zu anderen bereits eine viel zu hohe Abgabenquote hat, will man also, statt die hohe Steuerbelastung bei Vollzeit zu senken, jene für die schwachen Einkommen erhöhen. Das nenne ich dreist – und kurzsichtig! Über sinkende Kaufkraft löst das eine Kettenreaktion aus, die sich doppelt und dreifach rächt!

Woran man schon gar nicht drehen möchte, ist die Tatsache (selbst erlebt), dass man im österreichischen Steuersystem – ganz ähnlich wie in der Schule – draufzahlt, wenn man mehr leistet. Ob du zusätzlich zur Vollzeit noch einen Nebenjob machst oder in der Pension Teilzeit arbeitest, am Ende bleibt dir fast nichts davon, weil der Staat das meiste einstreift. Auch hier: „Wir bringen euch bei, dass sich Arbeit und Leistung nicht lohnen, aber ihr sollt möglichst viel arbeiten und leisten wollen!“ Genau. Tolle Logik!

Irgendein deutscher Comedian hat Österreich öffentlich als Bananenrepublik bezeichnet. Warum bloß fällt mir das jetzt ein…?

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05/03/2023 – Made4Gravity© by Astrid Schernhammer Autorin und Betreiberin von Made for Gravity Astrid Schernhammer


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